Gesundheitsprojekt. Volkswagenwerke – Somnico GmbH

Interview mit Dr. Lars Nachbar und Professor Dr. Ingo Fietze, Schlafexperte an der Charité.

Diese Zahl bringt so manchen um den Schlaf: Rund 80 Prozent aller deutschen Arbeitnehmenden leiden laut aktuellen Studien gelegentlich oder dauerhaft an Schlafstörungen. Deshalb hat das Volkswagen Gesundheitswesen eine Zusammenarbeit mit dem Schlafinstitut Somnico und dem Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Charité Berlin gestartet. Unterstützt und begleitet wird die Kooperation vom Gesundheitspartner Audi BKK.  

Kurzfristige Folgen des gestörten Schlaf sind Übermüdung und mangelnde Konzentration am Arbeitsplatz, langfristig stellt gestörter Schlaf einen wichtigen Risikofaktor für eine Vielzahl von Erkrankungen dar, die man auf den ersten Blick gar nicht mit Schlaf in Verbindung bringen würde. So ist gestörter Schlaf etwa die Hauptursache für Verkehrsunfälle, weit vor Alkohol. Oder – ganz banal – ist  ausreichender Schlaf bei einer Erkältung eine der effektivsten Maßnahmen die Ursache zu bekämpfen. Guter, erholsamer Schlaf ist somit eine Grundvoraussetzung für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Das ist wissenschaftlich belegt. Dr. Lars Nachbar, Leiter Konzern Gesundheitswesen und Arbeitsschutz, und Professor Dr. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin, beantworten die Fragen dazu im Interview mit der Internen Kommunikation. 

Herr Professor Fietze, wie sieht die Zusammenarbeit im ersten Schritt konkret aus? 

Professor Fietze: Die Zusammenarbeit umfasst unter anderem die Qualifizierung aller Werkärzte und Psychologen zum Thema Gesunder Schlaf. Ziel ist erstmal die Wissensvermittlung zur Förderung der Schlafhygiene und des gesunden Schlafverhaltens. Dabei werden die Grundlagen des Schlafens, der Rhythmus und die vielfältigen Einflussfaktoren auf den Schlaf vermittelt. Außerdem geht es um die Folgen von Schlafdefizit und schlechtem Schlaf, die Klassifikation der verschiedenen Schlafstörungen, die Messung von Schlafen und Wachen, die Diagnostik und Therapie Schlafstörungen und das Management von Schlaf und Schlafproblemen in der Arbeitswelt.Wir schicken pro Thema einen Referenten für zwei Tage zu Volkswagen. Das sind zum Beispiel Experten für Diagnostik oder Ärzte für Therapie und Management. Wir bieten diese Schulungen auch für niedergelassene Ärzte an, die sich schlafmedizinisch fortbilden wollen. Diese Kurse sind notwendig, weil es auf dem Gebiet der Schlafmedizin leider weder im Studium noch danach Fortbildung in Deutschland gibt. 

Nach den ersten Kursen: Wie kam Ihr Angebot hier an? 

Professor Fietze: Für mich als Schlafmediziner ist es Kriterium Nummer eins, wenn ich einen Vortrag halte, dass keiner einschläft… (lacht). Ich habe keinen gesehen. Aber ich kam teilweise gar nicht so zügig weiter, weil es so viele interessante Fragen gab – und das ist ja auch richtig so und macht die Zusammenarbeit so spannend.  

Dr. Nachbar, warum ist das Thema so wichtig für Volkswagen?

Dr. Nachbar: In unser täglichen Praxis sind wir immer wieder damit konfrontiert, dass Beschäftigten über Schlafprobleme klagen. Ein großer Teil unser Kolleginnen und Kollegen arbeitet über viele Jahre im Schichtbetrieb und da verwundert das nicht. Aber auch außerhalb der Schichtarbeit ist ein gestörter Schlaf ein Klagepunkt. Und ich denke, jeder weiß, dass man sich ausgeschlafen sehr viel leistungsfähiger, kreativer und besser gelaunt fühlt. Das zeigen auch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, wir sind in der besten Form in der wir sein können, wenn wir ausreichend und gut geschlafen haben. Das wollen wir für Volkswagen in den Fokus nehmen. 

Professor Fietze: Ich gebe Dr. Nachbar Recht. Fakt ist: Zum Thema Schlaf wissen die Menschen immer noch so gut wie nichts. Nicht wie sie mit der Müdigkeit am Tage umgehen sollen, nicht was sie machen könnten, wenn sie schlecht geschlafen haben. Wenn man einen ausgeschlafeneren und damit effektiveren Mitarbeiter haben will, dann macht es wirklich Sinn, wenn der Arbeitgeber sagt: Ich zeige mal dem Mitarbeitenden, dass wir uns nicht nur um Fitness und Ernährung kümmern, sondern eben auch um den Schlaf.

Schlaf muss also, wenn wir Sie beide richtig verstehen, einen neuen Stellenwert bekommen? 

Professor Fietze: Das Thema Schlaf und die Menschen, die ein Problem haben, – beides muss einfach ernst genommen werden. Wir wissen, es gibt kaum ein gesundheitliches Problem, das häufiger ist, als der gelegentlich oder dauerhaft schlechte Schlaf. Wir brauchen also für das Thema Schlaf ein neues Image und einen neuen Stellenwert. 

Dr. Nachbar: Ja genau, das ist das Ziel. Wir wollen Wissen vermitteln, die Relevanz des Themas herausarbeiten und Unterstützung für Betroffene anbieten und dies in Absprache mit den renommiertesten Experten. Und dazu gibt es eine Menge Ansatzpunkte, nicht nur medizinisch, sondern auch auf anderen Ebenen. Im Zweifel müssen wir viele Themen genauer anschauen und dazu auch einer Diskussion nicht aus dem Wege gehen. 

Konkret: Wie bekommen wir es hin, dass das Thema Schlaf genauso wichtig wird wie die Sorge um Ernährung und Fitness? Im Moment ist scheinbar eher das Motto „Schlaf ist für Schlaffis“ sexy. Dauernd Stress zu haben und wenig zu schlafen, ist irgendwie en vogue/im Trend.

Professor Fietze: Ja, leider. Sehen Sie, ich war in fast allen Bundesministerien und habe Vorträge gehalten und nur in einem Ministerium saß einmal ein Staatssekretär mit dabei. Kein Minister, keine erweiterte Führungsriege – aber immer so 100 bis 200 Leute, die interessiert zugehört haben und viele Fragen hatten. In anderen öffentlichen Einrichtungen oder in Unternehmen war es nicht anders. Daher wird sich in diesen Einrichtungen leider nicht viel ändern. Denn wenn die Führungsriege nicht teilnimmt und nicht informiert ist, dann werden auch keine entsprechenden Entscheidungen getroffen, es passiert einfach nichts. Wie sollen die Entscheider über Ruheräume nachdenken, wenn sie gar nichts von deren Bedeutung wissen? 

Herr Dr. Nachbar, wie geht es nach der Qualifizierung im Gesundheitswesen weiter? 

Dr. Nachbar: Neben allgemeinen Informationen wollen wir Schlaf in unseren Kontakten mit den Kolleginnen und Kollegen zum Thema machen. Plan ist, erste Fragen dazu unter anderem im Checkup aber auch in den Vorsorgen zu integrieren. Wir wollen einfach darüber sprechen und dann bereits an dieser Stelle erste Weichen für das weitere Vorgehen stellen. Für schwerwiegende Schlafstörungen planen wir auch eine schlafmedizinische Beratung. Ich möchte hier aber auch gleich ein wenig Erwartungsmanagement betreiben. Wir wissen selbst noch nicht genau wie die Bedarfe sein werden. Wo müssen wir ansetzen, welche Angebote braucht es wirklich. Das wird auch für uns spannend. 

Professor Fietze, Sie haben mit vielen Firmen gearbeitet. Was ist für Sie das Besondere an der Zusammenarbeit mit Volkswagen?

Professor Fietze: Es ist schon sehr spannend, war wir hier gerade machen. Es ist eine Sache zu sagen, wir wollen das Thema den Arbeitnehmern nahebringen. Das kann man auf allen möglichen Ebenen machen. Aber zu entscheiden, die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen – die Ärztinnen und Ärzte, die Arbeitsmedizinischen Mitarbeiter, Psychologen und Physiotherapeuten – werden aufgeklärt zum Thema Schlaf, das ist schon ein besonderer Schritt. Wir sind uns sicher, dass die Teilnehmenden sich danach besser über den Schlaf und dessen Störungen auskennen als jeder normale Arzt, das ist schon eine Hausnummer. Damit haben Arbeitnehmende bei Volkswagen eine Chance, 1. zu erfahren, wie man einer Schlafstörung auch vorbeugen kann und 2. mit beginnenden oder bereits bestehenden Schlafproblemen nicht nur ernst genommen zu werden, sondern auch effektiv einer Besserung zugeführt zu werden. Damit ist Volkswagen aus meiner Sicht Vorreiter und hoffentlich Vorbild für viele andere Unternehmen in Deutschland. Das gibt es so bisher nicht. Allein die Ansage an alle Arbeitnehmenden hier, ihre Fragen zum gesunden oder gestörten Schlaf an den Betriebsarzt zu kommunizieren, ist phänomenal. 

Geschrieben von

Somnico – Privates Institut für Schlafmedizin GmbH